Elektromobilität und Energiewende – heute schon an morgen denken

Auditorium Veranstaltung mit Toni Hofreiter am 9.9.2017, Bild: Bündnis 90/Die Grünen Braunschweig

Unterschätzt die technische Entwicklung der nächsten Jahre nicht

Am 19. August 2017 diskutierten wir mit Anton Hofreiter, Grüner Fraktionsvorsitzender im Deutschen Bundestag, Mobilität im Spannungsfeld von Ökologie und Arbeitsmarkt. Die Diskussion zeigt, wie stark die weitere Entwicklung von Mobilität und des Automobils vom aktuellen Stand der Technik geführt ist. Es fällt allen Beteiligten schwer, die Entwicklung auf eine globale Ebene zu heben. Vielmehr bewerten wir die mobile Zukunft stark aus der bundesdeutschen Brille. Anton Hofreiter unterstreicht, dass verschiedene Aufgaben, Elektromobilität und Energiewende, parallel vorangetrieben werden müssen. In diesem über 10 bis 20 Jahre laufenden Prozess werden sich Arbeitsplätze stark verändern.

Volkswagen will Batterieproduktion in der Region Braunschweig aufbauen

Andreas Blechner, Betriebsratsvorsitzender Volkswagen Salzgitter, erläutert, dass sich der Konzern auf den Weg in die Elektromobilität macht. Dafür soll die Batterieproduktion hier in der Region erfolgen. Denn im Werk Salzgitter werden noch Verbrennungsmotoren gebaut. Diesel- und Benzinmotoren wird es noch einige Jahre lang geben. In Zukunft sollen hier Batteriezellen produziert werden.

Anton Hofreiter und Andreas Blechner, Bild: Bündnis 90/Die Grünen BraunschweigAndreas Blechner rechnet vor, dass Volkswagen insgesamt 23.000 Stellen abbaut. Das lässt sich weitgehend über die in den Ruhestand gehenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter darstellen. Somit werden betriebsbedingte Kündigungen weitgehend vermieden. Dem gegenüber stehen rund 9.000 Stellen, die über die Elektromobilität und das autonome und vernetzte Fahren konzernweit neu entstehen. Dem Szenario unterstellt ist zugleich eine Produktionssteigerung von 25%.

Hier inbegriffen sind nicht die Stellen bei den Dienstleistern und Zulieferern. Der Übergang von Verbrennungsmotor zur Elektromobilität wird die Beschäftigung in der Region somit stark verändern.

Etwas ärgert Andreas Blechern sehr: er vermisst einen aus seiner Sicht fairen Energievergleich des Elektroautos über den gesamten Lebenszyklus mit dem Auto mit Verbrennungsmotor. Wer die Produktion der Batterien und den Rohstoffbedarf mit betrachtet, kann nach Blecherns Meinung nicht behaupten, dass Elektroauto sei in seiner Energie- und CO2-Bilanz besser als ein Auto mit Verbrennungsmotor. Dazu schüttelt Anton Hofreiter den Kopf. Er verweist darauf, dass die technische Innovation weiter geht. Auch die Energiewende wird weiter vorangetrieben. Wir können die Entwicklung von morgen nicht mit der Technik und dem Entwicklungsstand von heute bewerten. Aus dem Publikum kommt der Hinweis, dass in der Vollkostenrechnung der Automobile mit Verbrennungsmotoren auch nicht der Energieaufwand der Ölkonzerne abgebildet wird. Die Ausbeutung von Erdöl und die Produktion von Treibstoffen ist energieaufwändig.

Für unterschiedliche Wege ein spezielles Auto

Prof. Landrath und Juliane Krause, Bild: Bündnis 90/Die Grünen BraunschweigProf. Dr. Joachim Landrath, Ostfalia, Fachbereich Elektrotechnik, sieht die Entwicklung positiv. Das Elektroauto hat in den letzten Jahren einen großen Entwicklungssprung gemacht. Die Batterietechnik reicht bereits heute aus, um die Alltagsmobilität damit zu gewährleisten. Für lange Fahrten werden Verbrennungsmotoren bzw. Hybridfahrzeuge treue Dienste leisten. Die Menschen werden sich für die unterschiedlichen Wege die speziellen Fahrzeuge leihen.

Er ist Mitinitiator eines Netzwerks im Landkreis Wolfenbüttel, um der Elektromobilität zum Durchbruch zu verhelfen. Elektromobilität und Energiewende sind zentrale Themen für die Reduktion von klimaschädlichen Treibhausgasen.

Juliane Krause, Grüne Braunschweiger Direktkandidatin zur Bundestagswahl am 24. September 2017, unterstreicht, dass noch viele Fragen offen sind. Wer ist für den Ausbau der Ladeinfrastruktur verantwortlich? Beim Verbrennungsmotor hat die Mineralölindustrie ein Netz von Tankstellen aufgebaut und betreibt dieses auf eigenes Risiko. Die derzeitige Ladeinfrastruktur wird mit staatlichen Zuschüssen subventioniert. Allein in Braunschweig sind im Rahmen des „Schaufenster Elektromobilität“ von der Stadt Braunschweig mit erheblichem personellen Aufwand über 20 Ladesäulen im öffentlichen Raum installiert worden. Doch wird damit ein Laden von E-Autos nicht in dicht bewohnten Siedlungsstrukturen, wie beispielsweise den Ringgebieten ermöglicht. Hier sind noch erhebliche Anstrengungen zu unternehmen, um der Elektromobilität zum Durchbruch zu verhelfen.

Elektromobilität muss in Mobilitätswende eingebettet sein

Stefan Krull vom Arbeitskreis Zukunft der Automobilindustrie der Rosa-Luxemburg-Stiftung stellt klar, dass der Antriebswechsel allein keine Verkehrsprobleme löst. Neben der Mobilitätswende ist ein Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs und des Radverkehrs notwendig. Mit Investitionen in die Sanierung und den Ausbau von Eisenbahn, Stadtbahnen, Haltestellen und Informationstechnik muss das Angebot noch attraktiver werden. Dazu brauchen die Aufgabenträger und die Kommunen mehr finanzielle Unterstützung, was mit einem Umlenken staatlicher Subventionen von der Automobilindustrie zu den Kommunen möglich ist. In Braunschweig und der Region wären Taktverdichtungen bei Bahn und Bus kurzfristig gar nicht möglich, weil der Fuhrpark der Verkehrsunternehmen nicht ausreichend ist und die Schieneninfrastruktur das nicht zulässt.

Der Wandel muss endlich eingeleitet werden, weil er nicht von heute auf morgen umsetzbar ist. Dabei steht im Vordergrund, das Bedürfnis nach Mobilität in den Vordergrund zu stellen. Wie müssen das System verändern, damit Mobilität gesichert, aber zukünftig mit deutlich weniger negativen Begleiterscheinungen von Luftverschmutzung, Lärm und Flächenverbrauch einhergeht. Das Bedarf einer Allianz aus Gewerkschaften, Automobilindustrie, Wissenschaft und Forschung sowie der Umweltverbände. Der Transformationsprozess wird Arbeitsplätze kosten. Das müssen Politik, Industrie und Gewerkschaften sehr ernst nehmen, weil daran die Existenz vieler Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer hängt. Deshalb wirbt Stefan Krull dafür aufzuzeigen, wo neue Arbeitsplätze entstehen können: beispielsweise im Waggon-Bau (Fern- und Nahverkehrszüge, Güterzüge), im Lokomotiv- und Triebwagenbau, Trassenbau (Infrastruktur), Stahl-, Elektrik- und Elektronikindustrie, Fahrradindustrie, Fahrrad- und Gehwegebau.

Am Ende steht ein gesellschaftlicher Verhaltenswandel. Das Automobil in seiner heutigen Form und Nutzung (es sind rund 46 Mio. Automobile in der Bundesrepublik zugelassen – also statistisch hat jeder zweite Bundesbürger/in ein Auto) kann es so nicht mehr geben.

Elektromobilität und Energiewende gehören zusammen

Anton Hofreiter gibt sich sichtlich Mühe, nicht auf das Thema Eisenbahninfrastruktur einzusteigen. Er verurteilt die Vernachlässigung der Eisenbahn durch den amtierenden Verkehrsminister Alexander Dobrindt scharf. Der Bund ist alleiniger Eigentümer der Deutschen Bahn AG und gibt keine klaren Ziele vor. Fehlende Lückenschlüsse zu Nachbarstaaten, der noch immer nicht erfolgte zweigleisige Ausbau der Weddeler Schleife zwischen Braunschweig und Wolfsburg, fehlende Elektrifizierungen von Streckenabschnitten, Engpassbeseitigung an zentralen Knotenpunkten sind alles Folgen einer seit Jahrzehnten verfehlten Bahnpolitik.

Ghalia El-Boustami, Anton Hofreiter und Juliane Krause, Bild: Bündnis 90/Die Grünen BraunschweigVerschiedene Themen müssen politisch parallel weiter vorangetrieben werden. Dazu gehört die zeitgleiche Weiterentwicklung von Elektromobilität und Energiewende. Forschung und Entwicklung werden die Batterietechnik revolutionieren. Das ist nicht nur für die Mobilität, sondern für die gesamte IT-Branche notwendig. Denn auch die Akkus von Smartphones und Laptops sind was ihren Einsatz von Rohstoffen anbelangt noch entwicklungsfähig, erläutert Anton Hofreiter.

Juliane Krause weist auf die große Aufgabe hin, die Transformation der Automobilindustrie Sozial- und Arbeitsmarktpolitisch zu begleiten. Mit der wachsenden Technologisierung sind immer mehr hochqualifizierte Ausbildungen notwendig. Wir dürfen dabei nicht aus den Augen verlieren, auch Jobs für geringer Qualifizierte anzubieten. Sonst führt der notwendige Wandel in Mobilität und Industrie zu großen sozialen Verwerfungen.

Weitere Informationen

Tagesspiegel Online (31. August 2017) – Die Autoindustrie muss zukunftsfähig werden

Tagesschau Online (28. August 2017) – Diesel und Benziner: Grüne fordern Einstieg in den Ausstieg

IG-Metall Positionspapier (16. August 2017) – IG-Metall Eckpunkte zur aktuellen Debatte Automobil- und Zulieferindustrie der Zukunft

Focus Online (16. Juni 2017) – Elektromobilität bewegt das Land – Wir bewegen die Elektromobilität

Hannoversche Allgemeine Zeitung (1. Mai 2017) – Lässt sich eine Diesel-Schmiede zum Elektro-Pionier umbauen?

 

Juliane Krause – Grüne Braunschweiger Direktkandidatin zur Bundestagswahl 2017

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