Bordellartiger Betrieb in Gliesmarode: Die AG Gender*intersektional fordert Schutz statt Stigmatisierung von Sexarbeiter*innen

Im August wurde bekannt gegeben, dass ein bordellartiger Betrieb an der Berliner Straße im Stadtteil Gliesmarode eingerichtet werden soll. Seitdem werden sowohl aus der Kommunalpolitik, von Bürger*innen und von frauenpolitischen Akteur*innen Prostest laut. So ist in der Presse immer wieder von Sorgen der Anwohner*innen zu lesen. Sowohl der Unterbezirksvorstand der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen Braunschweig, der Kreisverband der Frauen Union Braunschweig und der SOLWODI Niedersachsen e.V.  sowie die CDU- und SPD-Fraktionen des Rats und die Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Braunschweig positionieren sich in der Öffentlichkeit deutlich gegen die Genehmigung des geplanten Bordellartigen Betriebs in der Gliesmaroder Straße. 

Im letzten Jahr wurde die entsprechende Bauvoranfrage der Bordell-Betreibenden von der Stadtverwaltung zwar positiv beschieden, da alle baurechtlichen Auflagen für die Einrichtung des Betriebs erfüllt sind. Doch nun wird seitens der Stadt geprüft, ob es andere Möglichkeiten zur Verhinderung der Einrichtung des bordellartigen Betriebs gibt (z.B. Ausweitung der Sperrgebietsverordnung).

Wir – die AG Gender*intersektional des KV Braunschweig von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – kritisieren, dass die öffentliche Diskussion über die Genehmigung eines bordellartigen Betriebs im Braunschweiger Stadtgebiet als Stellvertreter*innendebatte über Sexarbeit im Allgemeinen geführt wird. Weiterhin findet dabei keine differenzierte Betrachtung von Sexarbeit statt. Um eine sachliche Debatte führen zu können müsste jedoch unterschieden werden zwischen 1. selbstbestimmter Arbeit von Sexarbeiter*innen, die diese freiwillig und damit ihr Recht auf körperliche Selbstbestimmung ausüben, 2. Sexarbeiter*innen, die ausgebeutet werden und 3. Zwangsprostitution und Menschenhandel.

Doch die Frage nach dem Umgang mit Sexarbeit fällt nicht in den Kompetenzbereich der kommunalpolitischen Ebene, sondern in den der Bundesebene und wird auf dieser kontrovers geführt. Eine undifferenzierte Verlagerung dieser allgemeinen Diskussionen auf die kommunalpolitische Ebene – wie sie derzeit stattfindet – halten wir für nicht zielführend. Wir möchten darauf hinweisen, dass auf kommunalpolitischer Ebene lediglich vor dem Hintergrund baurechtlicher Vorschriften die Standortfrage des in Frage stehenden Betriebs diskutiert werden kann.  

Dabei sollte berücksichtigt werden, dass ein Verbot des Betriebs am Standort Berliner Straße keineswegs mit der Reduktion von Sexarbeit im Raum Braunschweig verwechselt werden darf. Verbote lassen Sexarbeit nicht verschwinden, sondern machen diese nur weniger sichtbar, wodurch der Schutz der in der Sexarbeit Tätigen erschwert, wenn nicht unmöglich gemacht wird. Diese Sorge formulieren auch die niedersächsischen Grünen Landtagsabgeordneten Imke Byl, Eva Viehoff, Meta Janssen-Kucz und Volker Bajus in einer Kleinen Anfrage aus dem August diesen Jahres, in der es um die Situation von Sexarbeiter*innen in der Coronakrise ging. In ihrer Antwort machte auch die Landesregierung deutlich, dass sie sich für das Selbstbestimmungsrecht von Sexarbeiter*innen einsetzt und mehr Transparenz in das Prostitutionsgewerbe bringen möchte.

Wir fordern die Stadt Braunschweig daher dazu auf, vor dem Hintergrund des Prostituiertenschutzgesetz von 2017 sichere Arbeitsbedingungen von Sexarbeiter*innen in Braunschweig in den Fokus zu nehmen und Schutzräume für diese zu schaffen, anstatt die Stigmatisierung und Tabuisierung von Sexarbeit durch den rechtlich angreifbaren Versuch eines Verbots des Bauvorhabens zu befördern. Denn die Bundesgesetzgebung stellt den „Schutz von in der Prostitution tätigen Personen“ in den Vordergrund. Dabei sind Diskriminierung und Marginalisierung von Sexarbeiter*innen abzulehnen!  Auch im Beschluss der Bundestagsfraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN von 2014 heißt es: „Die Situation vieler Prostituierter ist verbesserungsbedürftig und braucht klar geregelte Rahmenbedingungen. Die rechtliche Lage für diejenigen, die mit Prostitution ihr Geld verdienen, wollen wir verbessern und sie vor Ausbeutung und Gewalt schützen“. 

Deshalb ist es aus unserer Sicht sowohl falsch, bordellartige Betriebe aus dem Stadtbild verdrängen zu wollen, als auch, diese an einem einzelnen Standort (wie z.B. der Bruchstraße) zu isolieren. Denn Schutzkonzepte können nur funktionieren, wenn der Arbeitsort der zu Schützenden offiziell bekannt und für Unterstützungs- und Beratungsangebote wie z.B. Sozialarbeit erreichbar ist. Dieses Argument wird auch durch den o.g. Fraktionsbeschluss untermauert, in dem die Grüne Bundestagsfraktion formuliert: „Durch die Regulierung der Prostitutionsstätten als Gewerbebetriebe erreichen wir bessere Kontrollmöglichkeiten. Die Gewerbeämter hätten jederzeit Zutritt zu den Prostitutionsstätten“.  Genau das wäre bei dem geplanten bordellartigen Betrieb auf der Berliner Straße der Fall.  Es scheint sich also die Chance zu bieten, Menschen in der Sexarbeit einen relativ sicheren Rahmen zu bieten, anders als in der versteckten Illegalität. Der Betrieb und die Betreiber*innen würden regelmäßigen Kontrollen unterzogen werden können. Ebenso würde hier die kontinuierliche, präventive Unterstützung von Sozialarbeiter*innen möglich, die den Sexarbeiter*innen Unterstützung anbieten, wann immer diese notwendig sein sollte. 

Zusammenfassend fordert die AG Gender*intersektional des KV Braunschweig von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: 

  • Sexarbeit differenziert zu betrachten und in der Debatte auf Verallgemeinerungen, die etwa Sexarbeit mit Menschenhandel oder Freier mit Kriminellen gleichsetzen, zu verzichten.
  • Die baurechtliche Frage um die Genehmigung des bordellartigen Betriebs in der Berliner Straße klar von der emotional geführten, bundespolitischen Fragestellung eines Sexkaufverbotes zu trennen.
  • Der Diskriminierung, Stigmatisierung und Marginalisierung von Sexarbeiter*innen in und aus Braunschweig klar entgegen zu treten
  • Solidarisierung mit  Sexarbeiter*innen, denn: Sexarbeit ist Arbeit. 
  • Auf kommunaler Ebene die aufsuchende Sozialarbeit und ergebnisoffene,  mehrsprachige Beratungsangebote sowie Schutzkonzepte für Sexarbeiter*innen ausbauen und nachhaltig für die Zukunft aufstellen.