Braunschweiger Grüne diskutieren Sondierungen
Grüne sind ein diskussionsfreudiges Volk. Die Auseinandersetzungen um die besten Strategien und Lösungen für Umwelt, Natur, Frieden und Gleichstellung sind tief im kollektiven Gedächtnis der Partei verankert. An diese Tradition anknüpfend werden derzeit an der Grünen Basis die Koalitionsverhandlungen im Bund und auf Landesebene in Niedersachsen verfolgt. Auch wir Braunschweiger Grünen gehen hier hart mit uns ins Gericht. Ein paar Eindrücke von der Mitgliederversammlung am 2. November 2017, die von viel Skepsis geprägt war.
Enttäuschung über Landtagswahlergebnis
Das wir Grüne bei den Niedersächsischen Landtagswahlen stark an Stimmen verloren haben enttäuscht viele. Das Eingeständnis ist da, dass das letzte Wahlergebnis mit 13,5 % noch stark vom nuklearen Unfall in Fukushima gepusht war. Nichtsdestotrotz sehen viele Grüne Mitglieder das Wählerpotenzial landesweit bei über 10 %. Die Grünen genießen in den Städten traditionell mehr Vertrauen als im ländlichen Raum. Zugleich haben wir in der Landwirtschaftspolitik doch deutliche Kompetenzgewinne zu verzeichnen. Tierhaltung, Überdüngung und Einsatz von Pestiziden zeigen ihre negativen Wirkungen. Mittlerweile sind viele Verbraucher*innen und Verbraucher alarmiert und wünschen ein Umsteuern. Wir Grüne vertreten hier seit langem und somit glaubwürdig Positionen für eine neue Landwirtschaftspolitik.
Die Erkenntnis, dass wir Grüne nach der Landtagswahl 2013 das für uns zweitbeste Wahlergebnis eingefahren haben, tröstet Wenige. Denn wir Braunschweiger*innen verlieren unseren Abgeordneten Gerald Heere sowie unsere Grüne Ministerin für Wissenschaft und Kultur, Gabriele Heinen-Kljajic, als Repräsentant/innen in Hannover.
Ein Blick auf die Wähler*innenwanderung zeigt: Grüne haben in etwa gleich hohe Stimmenverluste an das linke wie an das konservative Lager. Das lässt wenig Spielraum für eine parteiinterne Debatte. Ob die politische Ausrichtung zu wenig oder zu stark dem linken oder dem realpolitischen Flügel der Partei folgt, bleibt offen.
Sehr kritisch wird im Kreisverband die Listenaufstellung bewertet. Es ist nicht gelungen, eine Kandidatin oder einen Kandidaten aus Braunschweig auf einem aussichtsreichen Platz der grünen Landesliste zu positionieren. Eine selbstkritische Konsequenz: Wir Braunschweiger Grünen werden mehr Präsenz in den Landesarbeitsgemeinschaften und Parteigremien zeigen. Damit wollen wir unseren Einfluss verstärken.
Selbstreflektion zum Landtagswahlergebnis
Wiederholte Kritik übten einige Mitglieder an der Grünen Niedersächsischen Fraktionsvorsitzenden Anja Piel. Der Parteiwechsel von Frau Twesten kurz vor der angesetzten Landtagswahl im Januar 2018 wird ihr als mangelnde Fähigkeit zum Zusammenhalt der Fraktion angelastet.
Im Wahlkampf selbst konnte die SPD von einem Mitleidseffekt des Parteiwechsels profitieren. Die CDU war sich zu Beginn des Wahlkampfes zu siegessicher, sprachen die ersten Prognosen doch für eine schwarz-gelbe Mehrheit.
Auf dieser Ausgangslage beruhend wird die grüne Wahlkampfstrategie sehr kritisiert. Denn aus Sicht vieler Grüner Mitglieder stand die Fortführung der rot-grünen Koalition im Vordergrund. Die eigenen grünen politischen Erfolge sind zu sehr in den Hintergrund getreten. Insbesondere in der Bildungspolitik haben wir Grüne andere Strategien als CDU und SPD.
Es wird als Trost und mit Genugtuung wahrgenommen, dass uns Grünen die höchste Kompetenz im Umgang mit dem Wolf zugesprochen wird. Die CDU würde am liebsten alle abknallen. Die SPD würde nicht alle, aber doch einige gern erschießen, so der Kommentar eines Mitglieds. Wir Grüne werben für eine Integration in unsere Umwelt und somit in unseren Alltag. Artenvielfalt und Artenschutz dürfen nicht von einer menschlichen Einteilung in gute und böse Tiere abhängig sein.
Viel Skepsis für Ablauf der Sondierungen auf Landesebene
Der Frust über das kategorische Nein von FDP-Niedersachsenchef Stefan Birkner verärgert viele Grüne. Denn Gespräche an der Basis zwischen Mitglieder beider Parteien zeigen, dass auch die FDP-Basis hier viel Unverständnis hat. Das Gerücht hält sich hartnäckig, dass Parteichef Christian Lindner diese Devise für Niedersachsen vorgegeben habe. Damit will er Störfeuer bei einer möglichen Jamaika-Koalition im Bund durch eine Ampel vermeiden.
Aber auch hier wird Kritik an der Grünen Faktionsvorsitzenden Anja Piel laut. Die Grünen schlugen Sondierungsgespräche mit der CDU für ein Jamaika-Bündnis aus. Nach einer Wahl gehört es für viele Mitglieder zur demokratischen Tugend, Gespräche zu führen. Natürlich sprachen die Vorzeichen nicht für den Erfolg. Dennoch kratzt diese Verhalten für viele an der Basis an der Glaubwürdigkeit der Grünen. Denn die FDP für ihre Haltung zu kritisieren und selbst keine Offenheit zu zeigen sei zweifelhaft.
Die Protagonisten haben sich somit in eine kommunikative Ecke manövriert, aus der sie ohne Gesichtsverlust nicht wieder herauskommen. Somit bleibt die Regierungsbildung jetzt CDU und SPD überlassen. Und beide werden – so die Überzeugung vieler Grüner Mitglieder – zu viele für uns fragwürdige Kompromisse für eine Regierungsbündnis schließen. Die Grüne Basis sieht das mit viel Skepsis und erwartet inhaltlich davon nicht viel Gutes.
Sondierungsgespräche im Bund für Jamaika genau beobachten
Die Sondierungsgespräche für Jamaika im Bund werden intensiv und mit viel Skepsis beobachtet. Die Gespräche zwischen den vier Parteien laufen zäh. Die Verhandlungen sind ähnlich einem Haifischbecken. Wir Grüne sind dabei stolz darauf, dass wir einen hohen Frauenanteil in unserer Verhandlungsgruppe haben. Insgesamt sind die Verhandlungen stark männerdominiert.
Die Debatte wird von der Grundsatzfrage überschattet: Was passiert, wenn die Gespräche scheitern? Würden Neuwahlen ein ähnliches Wahlergebnis liefern oder die Rechten stärken? Viel Einigkeit besteht, dass die AfD das Scheitern als Bestätigung ihrer Linie sehen wird.
Neuwahlen werden von der anwesenden Basis nicht als Allheilmittel angesehen. Vielmehr mehren sich die Stimmen, die dafür werben, die weitere Ausdifferenzierung der Parteienlandschaft zu akzeptieren. Die über Jahrzehnte bekannte Regierungsbildung aus zwei Parteien in Deutschland gehört der Vergangenheit an. Deshalb ist es auch für uns Grüne an der Zeit, vom gern gesehen alleinigen Wunschpartner SPD Abschied zu nehmen. In Zukunft werden wir mehr als einen Partner brauchen, wenn wir Verantwortung in der Regierung übernehmen wollen.
Wie viele Kompromisse können die vier Protagonisten eingehen, um eine Regierung mit sinnvollem Programm zu bilden? Für viele Grüne Mitglieder ist mit viel Skepsis klar, dass es schwer verdauliche Kröten zu schlucken geben wird. Dennoch wird dafür geworben, das Gesamtergebnis abzuwarten. Denn ohne Grüne würden die Ergebnisse eher noch düsterer aussehen, so die Erwartungen.
Die Grüne Sichtbarkeit wird außerdem maßgeblich von der Vergabe der Ministeren abhängen. Welche Ministerien gehören in die Hand der Grünen? Dazu gibt es unterschiedliche Meinungen. Ein Grün geführtes Auswärtiges Amt würde im Konzert der für Europa zuständigen Ministerien mitspielen. Denn die deutsche Europapolitik wird vom Kanzleramt, dem Finanzministerium und dem Auswärtigen Amt gesteuert. Verkehr, Umweltschutz und Landwirtschaft sind ebenfalls Themenfelder, in denen wir Grüne unser Kernkompetenzen einbringen können.
Wenn sich unsere Positionen wiederfinden, würd´s ein „Go“ der Braunschweiger Grünen geben
Zum Ende einer langen und kontroversen Diskussion gab es eine unverbindliche Abstimmung. Würdest Du einer Jamaika-Koalition zustimmen, wenn im Koalitionsvertrag nennenwert Grüne Inhalte enthalten sind? Die Mehrheit der Braunschweiger Grünen sagt: Ja.
Weitere Informationen
Spiegel Online (5. November 2017) – Jamaikasondierung: Kein Klimawandel in Sicht
Spiegel Online (5. November 2017) – Jürgen Trittin: Die CDU fährt in machen Bereichen eine Totalblockade
Tagesschau Online (4. November 2017) – Schreckgespenst Neuwahl
Zeit Online (3. November 2017) – Jamaika einig bei Familie und Bundeswehr
Grüne in Braunschweig – Landtagswahl 2017: Wahlergebnis für Grüne wenig erfreulich